Das tödliche Quartett

Übergewicht, Insulinresistenz, Bluthochdruck und hohe Blutfettwerte ergeben in Kombination das metabolische Syndrom – eine tickende Bombe, bei der es allerdings jeder selbst in der Hand hat, sie zu entschärfen.

Eigentlich ist das metabolische Syndrom gar keine „richtige“ bzw. eigenständige Krankheit, sondern vielmehr die Kombination aus mehreren Risikofaktoren – und wahrscheinlich gerade deswegen umso gefährlicher: Neben den, wenn man so will, etablierten Faktoren Übergewicht bzw. abdominelle Fettleibigkeit, Insulinresistenz bzw. Diabetes, Bluthochdruck und erhöhten Blutfettwerten werden seit einiger Zeit zudem die Fettleber sowie ein zu hoher Harnsäurewert hinzugezählt. Ob es sich nun um das „tödliche Quartett“, wie das metabolische Syndrom hin und wieder auch bezeichnet wird, handelt oder um ein „tödliches Sextett“, ist zwar nicht einerlei. Es ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass jeder Faktor für sich allein schon ein erhöhtes Risiko für die Gesundheit darstellt und die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass es im Laufe der Zeit zu einer koronaren Herzkrankheit und Atherosklerose (Arterienverkalkung) kommt. Daher ist es, laut Univ.- Prof. Dr. Alexandra Kautzky-Willer, Expertin für Endokrinologie und Stoffwechsel an der MedUni Wien sowie Österreichs erste Professorin für Gender Medicine, sehr wohl angebracht, jeden einzelnen Risikofaktor anzugehen: „Es wäre definitiv falsch, würde man sagen, dass es ungefährlich ist, wenn ein Patient beispielsweise nur unter Hypertonie, also Bluthochdruck, leidet.“ Dass Insulinresistenz, Adipositas (Fettleibigkeit), Bluthochdruck und Fettstoffwechselstörungen mitunter unabhängig voneinander auftreten, ist kein Geheimnis, in den meisten Fällen kommt es aber eben zu einer Kombination der Faktoren. So haben etwa übergewichtige Menschen meist auch erhöhte Blutfettwerte und/oder leiden unter einem hohen Blutdruck und haben darüber hinaus eine Insulinresistenz.

Mehrere Faktoren.Ab wann tatsächlich von einem metabolischen Syndrom gesprochen wird, darüber scheiden sich die Geister: Wiederholt wurde in den letzten Jahren versucht, eine allgemeingültige Definition zu erreichen – bislang ergebnislos. Kautzky-Willer, die auch Leiterin der Diabetesambulanz, Lipidambulanz und Adipositasambulanz an der Wiener Universitätsklinik für Innere Medizin III ist, empfiehlt jene der „National Expert Panel on Detection, Evaluation, and Treatment of High Blood Cholesterol in Adults“. Laut dieser müssen mindestens drei von fünf Kriterien erfüllt sein, um die Diagnose „metabolisches Syndrom“ zu stellen (siehe Kasten). Und wenn dem so ist, „dann ist das kardiovaskuläre Risiko in jedem Fall doppelt so hoch“, erklärt die Internistin. Das Problem ist, dass keine der gesundheitsschädlichen und dem metabolischen Syndrom zugehörigen Parameter Beschwerden bzw. Schmerzen verursachen oder zumindest erst dann, wenn die Krankheit schon weit fortgeschritten ist. Gleichermaßen ist bis auf den Bauchumfang keiner der Risikofaktoren sichtbar. Ein Grund, warum das Übergewicht als eine Art Leitsymptom betrachtet wird.

Vom Grundübel Übergewicht.„Das Übergewicht ist das Grundübel“, betont die Expertin. Allerdings sei der Body Mass Index (BMI) allein nicht aussagekräftig genug, da dieser die Fettverteilung nicht einbeziehe: „Der BMI berechnet sich aus Körpergewicht dividiert durch Körpergröße in Meter zum Quadrat. Wenn jemand nun sehr muskulös ist, kann es durchaus sein, dass sich sein BMI im übergewichtigen Bereich befindet, obwohl er keinen erhöhten Bauchumfang hat.“ Dass dies wahrscheinlich nur bei sehr trainierten Menschen der Fall ist und ein BMI über 30 bei vielen zumindest auf ein erhöhtes Bauchfett hindeutet, ist selbstverständlich klar. Nichtsdestotrotz wird seit geraumer Zeit der an der Taille gemessene Bauchumfang dem BMI vorgezogen. Mehr noch: Wurde eine Zeit lang zusätzlich das Verhältnis zwischen Bauch- und Hüftumfang berechnet, gebe es auch in dieser Hinsicht schon wieder einen neuen Marker: Bauchumfang durch Körpergröße – je höher das Ergebnis, desto schlechter. „Das ergibt Sinn, denn es macht einen Unterschied, ob ein Zwei-Meter-Mann einen Bauchumfang von 100 cm mitbringt oder ein Mann von kleiner Statur. Außerdem dürfte dieser Marker für Frauen ganz besonders aussagekräftig sein“, so Kautzky-Willer. Frauen haben zwar im Normalfall mehr Fett als Männer. Jedoch findet man dieses bei Frauen eher subkutan, also direkt unter der Haut, während sich das Fett bei Männern zumeist viszeral, das heißt in der freien Bauchhöhle ansammelt. In der Folge kommt es bei fettleibigen Männern vermehrt zur Fettleber, die, wie bereits erwähnt, eben auch zu den Risikofaktoren gezählt wird. Damit nicht genug der geschlechtsspezifischen Unterschiede: Bei der Frau deutet nämlich schon ein Bauchumfang von über 88 cm auf ein metabolisches Syndrom hin, beim Mann „erst“ ab 102 cm. Ferner hat das vermeintlich schwache Geschlecht normalerweise mehr vom „guten“ HDL-Cholesterin, entsprechend gilt in der Frauenwelt schon ein Wert unter 50 mg/dL (Milligramm pro Deziliter Blut) als Warnsignal – beim „starken“ Geschlecht sollte alles unter 40 mg/dL alarmieren. „Generell muss gesagt werden, dass Frauen ein niedrigeres kardiovaskuläres Risiko haben, was an den weiblichen Sexualhormonen liegt, den körpereigenen Östrogenen, die unter anderem die Gefäße schützen, das HDL erhöhen und das LDL senken sowie den Blutdruck und die Blutgerinnung positiv beeinflussen. Nach den Wechseljahren steigt das Herzinfarktrisiko aber zum Teil massiv an. Außerdem kann sich die Kombination der Parameter, die ein metabolisches Syndrom verursachen, bei Frauen ganz besonders schlecht auswirken“, warnt Kautzky-Willer. Dennoch tritt das „tödliche Quartett“ öfter bei Männern als bei Frauen auf: Es wird davon ausgegangen, dass weltweit ein Drittel der Männer und ein Viertel der Frauen davon betroffen sind – und das gilt auch für Österreich.

Frage des Lebensstils. Haben Sie schon zum Maßband gegriffen? Wenn nicht, tun Sie es jetzt – es kann mit Sicherheit nicht schaden! Ist die Zahl zu hoch und haben Sie das Gefühl, dass eventuell auch andere Kriterien (siehe Kasten) zutreffen könnten, gehen Sie zu Ihrem Hausarzt. Allein: Der Arzt kann zwar, sofern nötig, Medikamente verschreiben (z. B. Blutdruck- oder Diabetesmedikamente), die Basis ist allerdings immer eine Änderung des Lebensstils: „Natürlich muss jeder Risikofaktor, jeder Wert einzeln angegangen werden. Eine Gewichtsreduktion ist aber das Beste, was man tun kann, wenn man ein metabolisches Syndrom hat“, ist Kautzky-Willer überzeugt und gibt sogleich ein paar Tipps: „Man sollte auf eine fettreduzierte sowie ballaststoffreiche Ernährung umstellen und beispielsweise Lebensmittel mit einem niedrigen glykämischen Index bevorzugen (z. B. Buchweizen, Roggenvollkornbrot, Vollkornnudeln, Kichererbsen, Linsen, Soja, Wildreis, die meisten Obst- und Gemüsesorten). Wer zusätzlich zur Kalorienreduktion den Kalorienverbrauch steigert, nimmt ab und verbessert sämtliche Werte, die für das metabolische Syndrom von Bedeutung sind.“ Gerade die Bewegung spielt eine ganz entscheidende Rolle, denn selbst wer nicht abnimmt, verbessert durch körperliche Aktivität alle Parameter. Zu empfehlen ist mäßige Bewegung, 150 Minuten pro Woche – das heißt: Sie müssen sich zwar nicht übermäßig anstrengen, nichtsdestotrotz wird der Einkaufsbummel nicht dazugezählt. Freilich gilt: Je mehr man tut, desto besser ist es. Doch wenn es nur darum geht, die eigene Fitness zu steigern, würde im Grunde schon eine halbe Stunde zügiges Spazierengehen täglich reichen. Allein: So einfach ist die Sache meist nicht und so können nur die wenigsten auf eine unterstützende medikamentöse Therapie verzichten.

Gesund leben. Nachdem die Änderung des Lebensstils die Basis der Behandlung eines metabolischen Syndroms darstellt, mögen folgende Tipps nicht verwundern: Achten Sie auf Ihre Ernährung. Rauchen Sie nicht. Trinken Sie möglichst keinen Alkohol oder zumindest nicht mehr als das berühmte Achterl am Abend. Und verhindern bzw. reduzieren Sie Stress, denn es ist mittlerweile bekannt, dass Stress nicht nur mit Depressionen, sondern auch mit Übergewicht einhergeht. „Und“, so Kautzky-Willer: „Bleiben Sie in Bewegung! Nehmen Sie die Treppen statt dem Lift, gehen Sie öfter mal zu Fuß oder steigen Sie ein bis zwei Stationen früher aus, wenn Sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sind. Schon Kleinigkeiten können viel bewirken.“ Und das sollte Ihnen Ihre Gesundheit wert sein